Ein Plädoyer für die Kurzbewertung
Passend zum Jubiläumsjahr 1967 ist unser Fotomodell ein 2oo/8 von 1971. Die Serie als solche lief ab Ende 1967 von Band - die interne Modelljahrabgrenzung" /8" für Wagen ab Baujahr 1968 wurde zum Synonym für einen der erfolgreichsten und beliebtesten Mercedes-Benz aller Zeiten.
Mögen einige der 1968 bis 1976 gebauten Mittelklasse-Mercedes noch in Afrika oder im Nahen Osten unterwegs sein, so sind die richtig gut erhaltenen Exemplare doch mittlerweile zumeist in kundiger Sammlerhand gelandet. Die Zeiten als "Strich Achter" als Winterauto dienten oder vor den Unis parkten sind passé.
Klarer Fall:
Ein Blick auf das Wertgutachten zeigt: 12.000 D-Mark. Das Gutachten ist zu alt. Dieser Wert ist Vergangenheit und 2001 schon eine ganze Weile her.
"Kein Problem", werden viele denken. Meine Versicherung benötigt doch gar kein Kurzgutachten. In der Tat verzichten wir in BELMOT bis zu einem Versicherungswert von 12.500 Euro auf eine Kurzbewertung - andere gehen da bis zu 50.000 Euro: Von "Zeit- und Geldersparnis" ist da die Rede.
BELMOT:
Unser Statement - am falschen Ende gespart!
Wer beim Thema Wertgutachten nur an hochpreisige Klassiker denkt liegt falsch, denn gerade in der Preisregion bis 50.000 Euro werden schließlich die meisten Fahrzeuge am Privatmarkt gehandelt.
Top oder Schrott?
Die Oldtimer-Szene ist gewachsen und hat sich verändert. Hand aufs Herz - nicht jeder der heute ein klassisches Fahrzeug aus den 60er oder 70ern fährt, kann auch Ventile einstellen oder einen Unterbrecherkontakt tauschen bzw. hat auch die Zeit dazu.
Das bedeutet aber auch, dass nicht jeder Eigentümer eines Klassikers den tatsächlichen Zustand seines Fahrzeugs realistisch einschätzen kann.
Hier zwei Argumente warum eine Kurzbewertung zu jedem Liebhaberfahrzeug dazugehört, wie regelmäßiger Ölwechsel.
Fall 1:
Herr F. kauft sich seinen Jugendtraum: ein 1967er Mustang Fastback Coupé und zahlt dafür 39.000 Euro - er gibt diesen Versicherungswert bei seiner Versicherung an.
Ein Jahr später bleibt er beim Rangieren in der schlecht beleuchteten Tiefgarage an einem Betonpfosten hängen. Bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen fällt auf, dass das Fahrzeug komplett gespachtelt wurde und sich unter dem glänzenden Lack genietete Bleche und zentimeterweise Spachtel befinden, Rahmenträger und Achsen lassen auf diverse schlecht durchgeführte Unfallreparaturen in den letzten 50 Jahren schließen. In diesem Zustand hätte das Fahrzeug nicht einmal TÜV bekommen dürfen. Der tatsächliche Wert für ein verunfalltes Fahrzeug in Zustand 4 minus läge realistisch zwischen 7.500 und 9.000 Euro. Herr F ist auf einen Blender hereingefallen und von dem Verkäufer auf der Messe fehlt jede Spur. Ein Gutachten bei Kauf hätte dieses Risiko minimiert.
Fall 2
Herr S. übernimmt den Mercedes 280 SL R 107 von seinem Vater, er hat auf den Messen die Preise gut studiert und gibt seinem Versicherer als Wert 32.000 Euro an.
Auf einer Bodenseereise fährt Herrn S. ein VW Golf auf den Mercedes auf. Der Schaden ist nicht unerheblich. Der Gutachter des gegnerischen Versicherers kommt auf eine Schadenhöhe von 24.600 Euro, bei einem Fahrzeugwert von 18.500 Euro, das bedeutet wirtschaftlichen Totalschaden und abzgl. Fahrzeugrestwert von 3.750 Euro bleibt der SL-Liebhaber auf einem Schaden von 17.250 Euro sitzen bzw. muss sich die Differenz langwierig vor Gericht erstreiten
Hier schafft eine Fahrzeugbewertung Klarheit. Der neutrale Gutachter bewertet das unfallfreie Fahrzeug und ermittelt einen realistischen Wiederbeschaffungswert.
Und auch nur dieser Wert sollte sich auf Ihrer Police befinden. Nur dieser ermöglicht auch eine tatsächliche Wiederbeschaffung eines gleichwertigen/gleichartigen Fahrzeugs.
Doch zurück zum Thema:
Wie läuft heute unsere Bewertung ab? Wir sind im Mercedes Autohaus Neils und Kraft im mittelhessischen Hungen und dürfen die Hebebühne in der Dialogaufnahme benutzen:
Zunächst lässt der Gutachter das Fahrzeug kurz auf sich wirken.
Was sagt der erste Eindruck aus?
Wurde nachlackiert, ist die Oberfläche gleichmäßig, gibt es Wellen im Blech, stimmen die Spaltmaße, gibt es schiefe Passungen, oder fehlende Zierteile?
Anschließend wird die Fahrgestellnummer überprüft, und abgeglichen, ob das Fahrzeug zu den Papieren passt. Hierzu sollte der Gutachter nicht am Typenschild sondern ebenfalls die eingeschlagene FIN prüfen. Übrigens, nur weil der Gutachter nach der FIN fragt, heißt das nicht, dass er keine Ahnung hat. Bei unzähligen Modellen hat sich der Ort, an dem die FIN eingeschlagen wurde auch während der Bauzeit durchaus geändert.
Gerade bei günstigen Klassikern, die manchmal auch nur notdürftig am Leben erhalten wurden, weil sie einfach nichts wert waren, ist viel gepfuscht worden. Das kann ja auch durchaus schon Jahre zurückliegen, aber auch die Zeitgenossen unseres Fotomodells wie NSU Prinz, Rekord C, BMW 02 oder Ford 17m wurden gerne gespachtelt, denn kaum jemand hätte ihnen eine große Klassiker-Karriere vorhergesagt.
Kein Muss, aber sinnvolle Ergänzung zum Kurzgutachten und Pflicht bei jedem ausführlichen Gutachten ist eine Prüfung mit dem Lackschichtdickenmessgerät.
Bereits drei bis vier Messpunkte an der Fahrzeugflanke, gerade an neuralgischen Punkten, wie Türunterkanten, Radläufen, Kotflügeln oder um den Scheinwerfer herum, geben direkt Aufschluss über den Zustand des Blechs.
Top oder Flop?
Nicht jede Schweißnaht am Fahrzeugunterboden bedeutet, dass der Klassiker wertlos ist. Die Klassiker der 1960er und 70er Jahre traf die volle Wucht der salzigen Winter quasi aufs nackte Blech. So wurden viele Autos von TÜV zu TÜV, Blech über Blech geschweißt, gerade für einen Mercedes mit TÜV gab es damals immer ein paar Scheine.
So kann man davon ausgehen, dass jedes in Deutschland ausgelieferte Fahrzeug irgendwann einmal Bekanntschaft mit dem Schweißgerät geschlossen hat. Besser erhalten sind die sog. Re-Importe aus Kalifornien, Südfrankreich, oder auch der Schweiz.
Aber auch hier gilt "Vorsicht", nicht jeder Oldtimer ist rostfrei nur weil er irgendwann einmal in Kalifornien zugelassen war.
Daher sollte jede noch so kurze Bewertung einen Blick auf den Unterboden beinhalten, nur ein aktueller TÜV-Bericht ist eigentlich zu wenig. So können z.B. auch ohne Durchrostungen, wellige Partien oder Knicke an Längsträgern Indizien für einen schlecht reparierten Unfallschaden sein!
Und auch wenn es ein alter Hut ist, frischer Unterbodenschutz auf einem über 30 Jahre alten Auto ist per se verdächtig. Unser Oldtimeranwalt Michael Eckert kann ein Lied davon singen, wenn sich der "frisch restaurierte" Oldtimer kurz nach dem Kauf in der Werkstatt als "rostige Möhre" entpuppt, sobald der Unterbodenschutz entfernt wurde!
Auch die Historie ist wertentscheidend.
Ist das Fahrzeug aus erster Hand, wurde es scheckheftgepflegt, wurden Rechnungsdokumente aufbewahrt? All diese Themen, die auch beim Verkauf eine entscheidende Rolle spielen, fließen in den Wert ein.
Gerade seitdem Patina geradezu erwünscht ist, rücken auch Historie und Originalität ins Rampenlicht und spielen auch im Hinblick auf die Unterlagen zum Fahrzeug eine immer größere Rolle. Nicht jeder Gutachter wird dies berücksichtigen, daher vorab informieren.
Als Regel gilt: Je besser die Dokumentation zu dem Fahrzeug, desto einfacher die Wertermittlung für den Gutachter.
Eine kurze Probefahrt zumindest eine Runde über den Hof sollte der Gutachter in Absprache mit dem Fahrzeugeigentümer durchführen. Nur bei sehr kompliziert zu bedienenden Fahrzeugen aus den Baujahren vor 1940 wird der Gutachter dankend ablehnen oder die Probefahrt nur als Beifahrer durchführen.
Das Spannende zum Schluss, wo landen wir?
Aufgrund des gepflegten Zustand und der perfekt dokumentierten Historie – es sind seit über 30 Jahren alle Rechnungen zu dem /8 vorhanden – landen wir im Bereich 2 bis 2+. Halbe Noten 1,5 oder 2,5 werden i.d.R. nicht mehr vergeben, da sie für die Wertfindung als solche keine Rolle spielen.
Für den Wiederbeschaffungswert bedeutet das, dass wir nun bei über 15.000 Euro liegen, wer hätte das gedacht.
Die Kurzbewertung hat sich definitiv gelohnt. Werfen Sie doch mal einen Blick ins Fotoalbum
Text von Ralf